Brutto- oder Nettowertung bei steuerlichen Unsicherheiten

Die Vergabekammer Westfalen hat in einem von Roling & Partner angestrengten Verfahren entschieden, dass ein Auftraggeber Unsicherheiten hinsichtlich der zutreffenden umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Verkehrsleistungen über die Beförderung von im Rollstuhl sitzenden Fahrgästen nicht auf die Bieter abwälzen kann. Vielmehr ist der Auftraggeber verpflichtet, eindeutige Hinweise in den Vergabeunterlagen aufzunehmen, wie er eine derartige Leistung abrechnet, und welche Abrechnungsarten er akzeptiert. 

Darüber hinaus ist er – sofern er nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und unterschiedliche Steuersätze für die zu erbringende Leistung in Frage kommen – verpflichtet, die Wertung anhand der Bruttopreise vorzunehmen und nicht anhand der Nettopreise. Denn für den Auftraggeber ist die Umsatzsteuer dann nicht lediglich ein durchlaufender Posten, sondern stellt die tatsächliche wirtschaftliche Belastung des Auftraggebers dar.

Beförderung von Rollstuhlfahrern je nach Finanzamt umsatzsteuerbefreit oder -pflichtig

In dem Fall schrieb der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Auftraggeber Schülerbeförderungsleistungen aus, die teilweise auch die Beförderung von im Rollstuhl sitzenden Fahrgästen beinhaltete. Als Wertungskriterium stellte er das Kriterium des "Wochennettopreises" auf, obwohl er bereits aus vergangenen Verfahren wusste, dass die steuerrechtliche Behandlung der Beförderung von im Rollstuhl sitzenden Fahrgästen von den umliegenden Finanzämtern unterschiedlich behandelt wurde: Einige Finanzämter behandelten die Leistung als umsatzsteuerbefreit; andere als umsatzsteuerpflichtig. Auf ausdrückliche Nachfrage der Antragstellerin, welche Abrechnungsart (umsatzsteuerbefreit oder umsatzsteuerpflichtig) der Auftraggeber akzeptieren werde, teilte der Auftraggeber mit, dass er die objektiv richtige Besteuerung vergüten werde.

Die Antragstellerin rügte die Wertung anhand des Wochennettopreises als vergaberechtswidrig. Denn der Auftraggeber gehe die Gefahr ein, dass er auf ein Angebot den Zuschlag erteilt, welches zwar netto das wirtschaftlichste ist, sich aufgrund der unterschiedlichen umsatzsteuerrechtlichen Behandlung jedoch brutto als das teurere Angebot herausstellte. Darüber hinaus habe der Auftraggeber die Unsicherheit, welche Abrechnungen er akzeptiere, vor Angebotsabgabe nicht ausgeräumt. Es bestünde daher keine einheitliche Kalkulationsgrundlage für die Bieter, sodass nicht mit dem Eingang vergleichbarer Angebote gerechnet werden könne.

Vergabekammer: Auftraggeber hätte angeben müssen, welche Besteuerung er für richtig halte

Die Vergabekammer Westfalen folgte der Antragstellerin in allen Punkten und stellte fest, dass das Vergabeverfahren gegen das Erfordernis einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, die Pflicht, auf das wirtschaftlichste Angebot und gegen das Transparenzgebot verstoße.

Der Auftraggeber hätte in den Vergabeunterlagen deutlich thematisieren müssen, welche Abrechnung der Leistung von im Rollstuhl sitzenden Fahrgästen er für objektiv richtig halte. Spätestens nach der Bieterfrage der Antragstellerin hätte der Auftraggeber kenntlich machen müssen, dass er mit Blick auf die Regelung des § 4 Nr. 17 b UStG für den Transport von im Rollstuhl sitzenden Schülern "null" Umsatzsteuer erstatten wird, um für die Bieter die notwendige Klarheit zu schaffen. 

Umsatzsteuerrechtliche Frage darf bei Wertung nicht ausgeblendet werden 

Die Wertung des Wochennettopreises sei vor dem Hintergrund, dass der Auftraggeber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, nicht zulässig. Vielmehr habe der Auftraggeber ein Wertungsverfahren wählen müssen, welches sicherstellt, dass dasjenige Angebot den Zuschlag erhält, welches auch tatsächlich für den Auftraggeber das wirtschaftlichste darstellt. Die umsatzsteuerrechtliche Frage durfte daher auch bei der Wertung nicht ausgeblendet werden. Das Abfragen von Nettopreisen führte in derartigen Konstellationen in Bezug auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit nicht zu vergleichbaren Angeboten, da diese keine Aussage über die beim Auftraggeber tatsächlich entstehende finanzielle Belastung enthält.

Der Beschluss der Vergabekammer ist noch nicht rechtskräftig.

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Dr. jur. Sebastian Roling, LL.M. (Public Law) 

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Till Martin 

  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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