Arbeitsrecht: Fehlerquellen bei einer Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung

Massenentlassungen, ob durch die Arbeitgeberin selber oder aber im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter, führen immer wieder zu Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten, insbesondere Kündigungsschutzverfahren. Gerade die Entlassung einer größeren Anzahl von Mitarbeitern oder gar aller Beschäftigter hat viele Hürden, auch im Zusammenhang mit dem Abschluss von Sozialplänen und Interessenausgleichen. Mögliche Fehlerquellen gibt es in diesem Bereich viele.

Kündigung und Massenentlassungsanzeige

Eine Fehlerquelle ist die so genannte Massenentlassungsanzeige, Voraussetzung einer wirksamen Kündigung des Arbeitgebers. Werden bestimmte Anteile der im Betrieb insgesamt beschäftigten Belegschaft, bzw. gar alle Mitarbeiter, entlassen, bedarf es einer vorherigen Anzeige bei der Agentur für Arbeit, Näheres hierzu ergibt sich aus § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz. Bei Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern setzt die Anzeigepflicht beispielsweise bereits dann ein, wenn mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen werden sollen.

Unterlassene Massenentlassungsanzeige macht Kündigung unwirksam

Wie die Rechtsprechung schon vor langer Zeit geklärt hat, ist die Massenentlassungsanzeige zum einen Wirksamkeitsvoraussetzung, zum anderen muss diese Anzeige vor der Entlassung bei der Agentur für Arbeit erstattet werden. Insoweit war früher streitig, ob mit „Entlassung“ die tatsächliche Freisetzung zum Ende der Kündigungsfrist gemeint ist oder aber die Kündigungserklärung selber. Diesbezüglich steht seit langer Zeit für die Praxis fest, dass es insoweit auf die Kündigungserklärung ankommt, ein Arbeitgeber also eine wirksamen Massenentlassungsanzeige vor Aussprache der Kündigung einreichen muss.

Ein anderes Problem im Rahmen der Massenentlassungsanzeige ist die Pflicht des Arbeitgebers zu einem so genannten Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz, wenn im Betrieb ein Betriebsrat gebildet ist. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz haben Arbeitgeber im Betriebsrat insbesondere die Möglichkeit zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Im Regelfall werden in einer derartigen Situation Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleiches sowie eines Sozialplanes geführt.

Konsultationsverfahren als Teil der Massenentlassungsanzeige
gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz

Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz, die aus europäischem Recht und dortiger Regelung zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen in nationales Recht umgesetzt wurde, bedarf es hinsichtlich dieser Konsultation auch einer Beteiligung der Agentur für Arbeit im Rahmen der Massenentlassungsanzeige. Der Massenentlassungsanzeige ist insoweit eine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz beizufügen.

Folgen einer unvollständigen Massenentlassungsanzeige

Mit Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 27.01.2022 hat das Bundesarbeitsgericht dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt, die inhaltlich darauf abzielt, verbindlich zu klären, welchem Zweck die Übermittlungspflicht dient, die aus europäischer Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist. Würde die Richtlinie dem Arbeitnehmerschutz dienen, dann wäre nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die Regelung als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen, was im vorliegenden Fall zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würde. Dem liegt zugrunde, dass im vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Rechtsstreit der Insolvenzverwalter die Agentur für Arbeit vor Massenentlassungen zwar per Massenentlassungsanzeige informiert hat, was die Bundesagentur für Arbeit auch bestätigte. Allerdings war unstreitig der Massenentlassungsanzeige die Mitteilung des Insolvenzverwalters zur Einleitung des Konsultationsverfahrens an den Betriebsrat nicht beigefügt gewesen.

Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, hatte im Februar 2021 die gegen die Kündigung gerichtete Klage noch abgewiesen, ebenso wie in erster Instanz das Arbeitsgericht.

Eventuell unwirksame Kündigung wegen Verstoß
gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz

Sollte der europäische Gerichtshof die ihm gestellte Rechtsfrage also dahingehend beantworten, dass die Vorschrift zur Information der Agentur für Arbeit auch hinsichtlich des eingeleiteten Konsultationsverfahrens dem Arbeitnehmerschutz dient, wäre in diesem Fall absehbar, dass bei entsprechender Beantwortung der Frage das Bundesarbeitsgericht zur Unwirksamkeit der Kündigung käme.

Arbeitgeber, die Massenentlassungen planen müssen, tun also gut daran, auch bei der Massenentlassungsanzeige peinlich genau auf eine vollständige Erstattung der Anzeige unter Einschluss der schriftlichen Mitteilung zur Einleitung des Konsultationsverfahrens zu achten. Betroffene Arbeitnehmer haben dagegen mit der jetzigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts eine zusätzliche Chance, Fehlerquellen im Kündigungsschutzprozess aufzudecken und damit zu einer Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zu kommen, mindestens aber eigene Verhandlungspositionen deutlich zu verbessern.

Rechtsanwalt Christoph Schürmann

Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Kontakt

Kanzlei Roling & Partner
Schloßstr. 20a
49074 Osnabrück

Telefon: 0541 / 6 00 63 - 0
Telefax: 0541 / 6 00 63 - 22
E-Mail: info(at)roling-partner.de

Unsere Öffnungszeiten:

Mo-Do08:00 - 13:00 Uhr
14:00 - 18:00 Uhr
Fr 08:00 - 13:00 Uhr
14:00 - 17:00 Uhr

mehr

click
to
open