BGH stärkt Wettbewerb im ÖPNV - Urteil zu Dienstleistungskonzession und Ausschreibungspflicht

Das Bundesgericht hat entschieden, dass Leistungen im Schienenpersonennahverkehr grundsätzlich ausschreibungspflichtig sind, und wichtige Ausführungen zum Begriff der Dienstleistungskonzession gemacht.

Der BGH hält fest, dass Dienstleistungen im Schienenpersonennahverkehr nicht durch die Regelung des § 15 Abs. 2 AEG vom Geltungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sind. Jene Norm habe gegenüber dem vierten Teil des GWB keinen Vorrang unter dem Gesichtspunkt der Spezialität. Dies lasse sich weder dem Willen des Gesetzgebers, noch dem Wortlaut der Norm entnehmen. Der § 15 Abs. 2 AEG eröffne daher nicht die Möglichkeit der Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsdienstleistungen.

Der Ausnahmekatalog des § 100 Abs. 2 GWB ist laut Ansicht des BGH abschließend; dieser enthalte jedoch gerade keinen Ausnahmetatbestand für SPNV-Leistungen.

Dienstleistungskonzession liegt nicht bei unwesentlicher Übernahme eines Betriebsrisikos vor

Der BGH äußert sich außerdem ausführlich zur Definition des Begriffs der Dienstleistungskonzession.

Eine den Anwendungsbereich des GWB entzogene Dienstleistungskonzession liegt demnach nicht vor, wenn der Konzessionär das Betriebsrisiko nur zu einem unwesentlichen Teil übernimmt. Wann dies der Fall ist, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab; maßgeblich sei eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, sowohl hinsichtlich der in Bezug auf den Vertragsgegenstand herrschenden Marktbedingungen, als auch hinsichtlich der konkreten vertraglichen Vereinbarungen.

Übermäßig Zuzahlung löst Ausschreibungspflicht aus

Ist eine Zuzahlung vorgesehen, scheide eine Dienstleistungskonzession zwar nicht von vorneherein aus – dies löse aber jedenfalls dann eine Ausschreibungspflicht aus, wenn die Zuzahlung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann, sondern sich zeigt, dass die aus der Erbringung der Dienstleistung möglichen Einkünfte allein ein Entgelt darstellen würden, das weit ab von einer äquivalenten Gegenleistung läge.

In einem derartigen Fall sei indiziert, dass die Interessen des Unternehmens durch die Zahlungen in einem Maße gesichert sind, dass kein wesentliches Vertragsrisiko mehr besteht. Macht die Zuzahlung auch nur "einen wesentlichen Teil der Gegenleistung" aus, spricht dies nach Auffassung des BGH bereits gegen die Annahme einer vergaberechtsfreien Dienstleistungskonzession (Rn. 40).

Umfang der Abwanderung von Fahrgästen ist bei der Bewertung des Risikos maßgeblich

Als für die Bewertung des Risikos maßgeblich erachtet der BGH im Bereich des ÖPNV richtiger Weise nicht die Frage, welchen Anteil die Fahrgeldeinnahmen an den Gesamteinnahmen haben, sondern ob und in welchem Umfang es zur Abwanderung von Fahrgästen in erheblicher Größenordnung kommen kann. Einen Nachfrageeinbruch von 5 % ohne nachvollziehbaren Grund anzunehmen, beurteilt der BGH dabei bereits als "spekulativ" und "nicht repräsentativ für das Risiko von Einnahmeminderungen über die gesamte Laufzeit" (Rn 46). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Genehmigungsinhaber ein solches Risiko – zumal unter dem besonderen Schutz des Verbots von Doppelbedienungen! – nicht schlicht behaupten, sondern substantiiert darlegen und unter Beweis stellen werden müssen.

Zum § 4 Abs. 3 Nr. 2 VGV hält der Bundesgerichtshof fest, dass eine Verlängerung der Laufzeit bereits geschlossener SPNV-Verträge im Wege der freihändigen Vergabe voraussetzt, dass ein wesentlicher Teil der vorgesehenen Leistungen während der Vertragslaufzeit in den Wettbewerb gegeben wird. Eine substanzielle Verlängerung der Laufzeit sei jedenfalls dann nicht zulässig, wenn nicht zugleich auch die wettbewerbsfördernde Komponente des Vertrages verstärkt werde. Hier ergeben sich u. U. – wenn auch enge – Spielräume für Direktvergaben, die im Einzelfall zu prüfen sind.

Enge Voraussetzungen für die Möglichkeit von Direktvergaben

Die Entscheidung unterwirft die Möglichkeit von Direktvergaben in SPNV engen Voraussetzungen. Dies ist sachgerecht, da es sich sowohl bei der Inanspruchnahme von Direktvergaben, als auch beim Begriff der Dienstleistungskonzession um Ausnahmen vom allgemeinen Vergaberechtsregime handelt, die nach Ansicht des EuGH und der Kommission eng auszulegen sind.

Viele der Ausführungen des BGH zum Begriff der Dienstleistungskonzession sind übertragbar auf den Bereich des straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehrs. Es darf daher mit Spannung erwartet werden, ob und inwiefern sich das OLG Düsseldorf in seinem am 02. März 2011 erwarteten Beschluss auf die vorliegenden Gründe des Bundesgerichtshofs stützen wird.

Das Urteil ist rechtskräftig und unter www.bundesgerichtshof.de abrufbar. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

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