Bundessozialgericht fährt Genehmigungsfiktion an die Wand!

Im Februar 2013 hat der Gesetzgeber das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten der Versicherungsnehmer mit der Einfügung des § 13 Abs. 3a SGB V um eine gesetzliche Genehmigungsfiktion ergänzt. § 13 Abs. 3a SGB V bestimmt, dass eine Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen innerhalb von drei Wochen nach Eingang des Antrags entscheiden muss. Ist aus der Sicht der Krankenkasse die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme notwendig, beträgt die Frist sogar fünf Wochen. Wird diese Frist von der Krankenkasse dagegen nicht eingehalten, gilt die Leistung gem. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt, d. h. sie muss die Kosten der selbstbeschafften Leistung dem Versicherungsnehmer auch dann erstatten, wenn nach allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht.

Bisherige Rechtslage

In der bisherigen Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V sehr wohlwollend zugunsten des Versicherungsnehmers verstanden und gewertet. Es hat die Genehmigungsfiktion als Verwaltungsakt angesehen, in der es eine spätere anderslautende Entscheidung der Krankenkasse nicht mehr zuließ.

Änderung der Rechtsprechung

Von dieser bisherigen Rechtsprechung hat sich das Bundessozialgericht in einer jüngsten Entscheidung nun vollständig gelöst und abgewendet. Anders als bisher angenommen nimmt das Bundessozialgericht aus einer nach § 13 Abs. 3a SGB V fingierten Genehmigung nur noch einen Kostenerstattungsanspruch zugunsten des Versicherungsnehmers, nicht aber mehr – wie noch nach der ursprünglichen Rechtsprechung – auch einen Sachleistungsanspruch an. Dies leitet das Gericht nun zum einen aus den Gesetzesmaterialien zu § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V sowie aus den Gesetzesmaterialien zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) her.

Noch dramatischer wirkt sich die Änderung der Rechtsprechung aber im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Genehmigungsfiktion selbst aus. Dieser stellt nach Ansicht des Bundessozialgerichtes nun keinen eigenen Verwaltungsakt mehr dar. Vielmehr erhalte der Versicherte über die Genehmigungsfiktion nur noch eine vorläufige Rechtsposition bis zu einer anderslautenden Entscheidung der Krankenkasse. Diese soll den Antrag trotz Fristversäumnis noch ablehnen können (BSG v. 26.05.2020 – B 1 KR 9/18 R).

Konsequenzen aus der Entscheidung

Die Auswirkungen dieser Umkehr der Rechtsprechung auf die Praxis sind erheblich. Der Versicherte einer gesetzlichen Krankenversicherung hat nur dann noch die Möglichkeit Rechtsansprüche aus der Fristversäumnis und der daran anknüpfenden Genehmigungsfiktion zu ziehen, wenn er – nach Ablauf der Frist, aber noch vor Entscheidung der Krankenkasse über seinen Antrag – die Leistung selbst beschafft. Denn sobald ihm ein entsprechender Ablehnungsbescheid seiner Krankenkasse zugeht erlischt die sich zu seinen Gunsten aus der Genehmigungsfiktion ergebende Rechtsposition. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich für den Versicherungsnehmer schließlich dadurch, dass er oftmals gar nicht weiß, wann seiner Krankenkasse der Antrag tatsächlich zugegangen ist und er dementsprechend den Ablauf der Frist auch nicht konkret ermitteln kann. Die Praxis zeigt schließlich, dass viele Versicherte die gesetzliche Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB VI gar nicht kennen und sie sich ihrer hieraus ergebenden Rechtsposition daher häufig gar nicht bewusst sind. Für die Krankenkassen hat dies – wie aus dortiger Sicht sicherlich erfreuliche – Folge, dass Fristversäumnisse nunmehr oftmals folgenlos für die Krankenkasse bleiben.

Ausblick

Die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 26.05.2020 bleibt nur schwer nachvollziehbar. Denn offensichtlich hat der Senat hier gänzlich aus dem Blick verloren, dass die Fiktionsregelung des § 13 Abs. 3a SGB V damals im Februar 2013 im Zuge des sog. Patientenrechteänderungsgesetzes eingeführt wurde, mit dem der Gesetzgeber – bewusst und gewollt – eine Stärkung der Patientenrechte – auch im Bereich des gesetzlichen Krankenversicherungsrechtes – bewirken wollte. Hintergrund der Regelungen war es, eine Beschleunigung des Bewilligungs- und Genehmigungsverfahrens bei den gesetzlichen Krankenkassen zu bewirken, um es den Versicherten zu ermöglichen, die benötigen Leistungen zeitnah zu erhalten. Der nun vom Bundessozialgericht mit seiner Entscheidung vom 26.05.2020 vollzogene Paradigmenwechsel wird hier zukünftig jedoch das Gegenteil bewirken und es den Krankenkassen nun wieder ermöglichen, insbesondere unliebsame Leistungsanträge von Versicherten 'zu verbummeln'.

Sollte sich aus den vom Bundessozialgericht herangezogenen Gesetzesmaterialien zu § 13 Abs. 3a SGB VI tatsächlich das jetzt beigemessene Verständnis herleiten, müsste man dem Gesetzgeber attestieren, dass die mit der Einführung der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V verfolgten Ziele sämtlich verfehlt worden sind.

Ihr Ansprechpartner in Fragen des Medizinrechtes: Rechtsanwalt Dr. Michael Carstens, Fachanwalt für Medizinrecht

Dr. jur. Michael Carstens

Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Familienrecht
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