Einladung schwerbehinderter Bewerber versus Eignung

Die Arbeitsgerichte haben sich immer wieder mit Klagen schwerbehinderter Arbeitnehmer zu befassen, mit denen häufig Schadenersatz wegen einer Benachteiligung nach dem AGG geltend gemacht wird. Wird eine Stelle eines öffentlichen Arbeitgebers ausgeschrieben, sind grundsätzlich schwerbehinderte Arbeitnehmer/Bewerber bei ansonsten gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen.

Besondere Pflichten öffentlicher Arbeitgeber

Die Dienststellen öffentlicher Arbeitgeber haben den Agenturen für Arbeit einen freien Arbeitsplatz zu melden, wenn eine interne Besetzung nicht möglich oder erfolglos ist. Mit der Meldung gilt die Zustimmung des öffentlichen Arbeitgebers zur Veröffentlichung eines entsprechenden Stellenangebots als erteilt. Nach § 165 S. 3 SGB IX ist ein schwerbehinderter Mensch, der sich um einen derartigen Arbeitsplatz bewirbt, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 165 S. 4 SGB IX ist eine Einladung (nur dann) entbehrlich, wenn die fachliche Einigung offensichtlich fehlt.

An dieser grundsätzlichen Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Arbeitnehmer und der gesetzlich geregelten Ausnahme hierzu entzünden sich eine Vielzahl rechtlicher Auseinandersetzungen. Viele Arbeitgeber laden einen schwerbehinderten Stellenbewerber vorsichtshalber zur Vermeidung rechtlicher Auseinandersetzungen ein, auch wenn der öffentliche Arbeitgeber eigentlich davon ausgeht, der Stellenbewerber erfülle das Anforderungsprofil nicht oder nicht vollständig.

BAG: Nicht erreichte Mindestnote führt zu offensichtlich fehlender Eignung

Das Bundesarbeitsgericht hat am 29.04.2021, Aktenzeichen 8 AZR 279/20 entschieden, dass bei einer Stellenausschreibung, die eine bestimmte Mindestnote als zwingendes Auswahlkriterium nennt, das Unterschreiben dieser Mindestnote zur Feststellung eines offensichtlichen Eignungsmangels eines schwerbehinderten Bewerbers führen kann. Dann sei auf der Grundlage des § 165 S. 4 SGB IX auch eine Einladung entbehrlich.

Im vorliegenden Fall hatte der schwerbehinderte Stellenbewerber die in der Stellenbeschreibung vorausgesetzte Note „gut“ für den Abschluss seines Hochschulstudiums verfehlt und mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen. Er argumentierte im Rechtsstreit nach Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung im Rahmen der Einladung, die Ausnahme des § 165 S. 4 SGB IX zur Einladungspflicht sei eng auszulegen, daher könne sein Abschluss mit einer Note knapp unter der in der Stellenausschreibung genannten Mindestnote nicht maßgeblich dafür sein, ihn nicht einmal einzuladen.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem Landesarbeitsgericht allerdings festgestellt, dass der öffentliche Arbeitgeber berechtigt war, in der Stellenausschreibung unter anderem auch eine Mindestnote für den Abschluss eines Hochschulstudiums als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen. Dies führe dann zu einer offensichtlich fehlenden Eignung für die ausgeschriebene Stelle.

Dies erleichtert öffentlichen Arbeitgebern sicherlich die Planung entsprechender Stellenausschreibungen und vor allem die Planung der Einladung zu Bewerbungsgesprächen.

Auch bei fehlender Eignung bedarf es stringenter Praxis bei Nichtberücksichtigung

Damit war der Rechtsstreit allerdings noch nicht entschieden, im Ergebnis hatte die Revision des Stellenbewerbers nämlich doch Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht konnte selber nicht abschließend entscheiden, gab dem Landesarbeitsgericht allerdings für die erneute Verhandlung mit auf den Weg, prüfen zu müssen, ob der öffentliche Arbeitgeber denn tatsächlich auch keinen anderen Bewerber, der die in der Ausschreibung genannte Mindestnote nicht erreicht hatte, zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder gar eingestellt hat. Das vollständige Urteil ist bisher nicht bekannt, es dürfte allerdings davon auszugehen sein, dass das Bundesarbeitsgericht angesichts des Ausnahmecharakters des § 165 S. 4 SGB IX davon ausgeht, dass eine Berufung auf fehlende Eignung bei Verfehlen einer Mindestnote dann nicht mehr trägt, wenn der öffentliche Arbeitgeber andere Stellenbewerber mit einer gleichfalls der Stellenbeschreibung nicht entsprechenden Mindestnote eingeladen hat. Damit wird dann, wie zu vermuten ist, sicherlich deutlich, dass entgegen der Stellenausschreibung die Mindestnote eben doch kein zwingendes Auswahlkriterium ist, sodass dann wiederum eine Benachteiligung eines schwerbehinderten Stellenbewerbers bei Nichteinladung vermutet werden könnte. Ein öffentlicher Arbeitgeber wird sich also davor hüten müssen, unterschiedliche Maßstäbe bei der Auswahl von Bewerbern anzulegen, verfehlen einer oder mehrere eingeladene Bewerber festgelegte Auswahlkriterien, wird sich ein öffentlicher Arbeitgeber nur schwerlich auf das offensichtliche Fehlen einer Eignung bei einem schwerbehinderten Stellenbewerber zur Begründung einer Nichteinladung berufen können. Alleine die Nichteinladung kann in diesem Fall dann zu entsprechenden Schadenersatzansprüchen eines schwerbehinderten Stellenbewerbers trotz fehlender Eignung führen.

Rechtsanwalt Christoph Schürmann

Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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