Im Kern geht es um die Frage, ob die Teilnahme an Fortbildungen, die für mehrere Fachgebiete ausgewiesen sind, die Fortbildungspflicht hinsichtlich dieser Fachgebiete gleichzeitig erfüllt.
Mit Urteil vom 12.11.2018 hat der Niedersächsische Anwaltsgerichtshof die Klage eines Fachanwalts zum Teil abgewiesen – nicht rechtskräftig.
Doppelverwertung von Kombinationsveranstaltungen?
Der Kläger führt mehrere Fachanwaltsbezeichnungen. Streitig ist, ob der Kläger für das Jahr 2017 einen ausreichenden Nachweis über die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen für alle Fachgebiete erbracht hat. Der Kläger ist der Ansicht, dies sei der Fall. Er hat dann eine ausreichende Anzahl an Fortbildungsstunden (nach § 15 Abs. 3 FAO mindestens 15 je Fachgebiet) besucht, wenn er die Teilnahme an sogenannten Kombinationsveranstaltungen jedenfalls teilweise für zwei Fachgebiete ansetzen durfte. Kombinationsveranstaltungen sind solche Fortbildungen, die im thematischen Überschneidungsbereich von zwei oder mehr Fachgebieten liegen. Ohne diese "Doppelverwertung" fehlte ihm eine Zeitstunde in einem der Fachgebiete.
Mit einem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid hat die Rechtsanwaltskammer des Landes Niedersachsen ein Pflichtversäumnis des Klägers festgestellt. Er habe im Jahr 2017 eine Zeitstunde Fortbildung zu wenig nachgewiesen. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben mit den Anträgen, erstens den Bescheid aufzuheben und zweitens festzustellen, dass er seine Fortbildungsverpflichtung für das Jahr 2017 vollständig erfüllt hat.
Anfechtungsklage zulässig und begründet – keine VA-Befugnis für die Feststellung des Pflichtversäumnisses
Der Anwaltsgerichtshof nahm an, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Rechtsanwaltskammer statthaft war. Diese habe als Entscheidungsform die Rechtsform des Verwaltungsakts gewählt. Es komme insoweit allein auf die Form des Behördenhandelns an, sodass die Anfechtungsklage zulässig sei, auch wenn es sich nicht um einen Verwaltungsakt handele. Dies sei eine Frage der Begründetheit. Der Rechtsanwaltskammer habe es jedoch an der Befugnis gefehlt, die Feststellung des Pflichtversäumnisses in Form eines Verwaltungsakts zu erlassen. Weder die BRAO, noch die FAO oder das VwVfG biete dafür eine Rechtsgrundlage. Inhaltlich handele es sich um eine bloße Mitteilung ohne jegliche Rechtsfolgen; daher sei der Bescheid aufzuheben.
Feststellungsklage zulässig, insbesondere Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Der Anwaltsgerichtshof hält fest, dass die Feststellungsklage zulässig sei, insbesondere im Hinblick auf § 43 Abs. 2 VwGO (Subsidiarität). Denn entsprechend den Ausführungen zur Anfechtungsklage könne der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines VA geltend machen. Der Kläger habe auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung, da er andernfalls mit dem Widerruf seiner Fachanwaltszulassung und eventuell disziplinarrechtlichen Konsequenzen rechnen müsse.
Feststellungsklage unbegründet – nach Auffassung des Gerichts keine Doppelverwertung möglich, da nicht in der FAO normiert
Der Anwaltsgerichtshof urteilte weiter, dass die Fortbildungsverpflichtung für jedes Fachgebiet im Umfang von mindestens 15 Zeitstunden zu erfüllen sei. Eine Regelung zur Doppelverwertung enthalte § 15 Abs. 3 FAO nicht. Die Satzungsversammlung habe seinerzeit beschlossen, dass dies nicht gewollt sei. Es handele sich um einen formalisierten Nachweis über einen Mindeststandard. Diese Nachweispflicht dürfe nicht aufgeweicht werden. Eine Einzelfallprüfung sei vom Satzungsgeber nicht gewollt. Darüber hinaus folge eine Ungleichbehandlung der Fachanwälte verbunden mit einem Eingriff in Art. 3 GG, für den der Satzungsgeber nicht ermächtigt sei.
Weiteres Verfahren – Argumente für eine Doppelverwertung
Der von uns vertretene Kläger hat einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Eine "Aufweichung der Anforderungen" ist nicht erkennbar. Es geht gerade darum, zu ermitteln, welche Anforderungen bestehen und wie diese erfüllt werden können. Unstreitig ist, dass sich ein Fachanwalt pro Fachgebiet mindestens im Umfang von 15 Stunden fortbilden muss. Fraglich ist nur, ob den Fachanwalt diejenigen Stunden, die thematisch sowohl zum einen, als auch zum anderen Fachgebiet gehören, in beiden Fachgebieten fortbilden. Nach Ansicht des Klägers ist dies der Fall. Auch eine vom Gericht angesprochene "Einzelfallprüfung" ist nicht vonnöten. Die Möglichkeit der Doppelverwertung ergibt sich offenkundig durch das Veranstaltungsangebot, das thematisch als für eine oder mehrere Fachgebiete geeignet gekennzeichnet ist.
Ein Eingriff in Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor, denn eine Ungleichbehandlung kann, wenn überhaupt, nur dann gesehen werden, wenn eine Gesamtbetrachtung der Stunden und Division durch die Anzahl der Fachanwaltsbezeichnungen angestellt wird, die aber in der FAO nicht vorgesehen ist.
Gerade weil der Satzungsgeber keine klaren, eindeutigen Regelungen in § 15 FAO aufgenommen hat, die einer Doppelverwertung widersprechen würden, und weil gleichzeitig die in der FAO (§§ 8-14p) normierten Materien der jeweiligen Fachanwaltschaften thematische Überschneidungen vorsehen, ist die Doppelverwertung Ausfluss der lex lata. Wegen des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG hätte der Satzungsgeber einschränkende Regelungen ausdrücklich in die FAO aufnehmen müssen.
Fazit
In dubio pro libertate – die grundrechtsfreundliche Auslegung des § 15 Abs. 3 FAO gebietet unserer Auffassung nach, dass eine Doppelverwertung von Stunden einer Kombinationsveranstaltung möglich ist. Sofern der Satzungsgeber einen entgegenstehenden Willen hätte, hätte er diesen in der Satzung ausdrücklich äußern müssen. Andernfalls ist er unbeachtlich.
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