In den ganz überwiegenden Fällen bestimmt sich die Berechnung von Kindesunterhaltsansprüchen regelmäßig nach der jeweils aktuellen Düsseldorfer Tabelle, die mittlerweile regelmäßig jährlich angepasst wird. Diese Form der pauschalierten Berechnung des Barunterhaltsanspruches eines Kindes führt in der Praxis zu einer erheblichen Erleichterung und Transparenz bei der Berechnung des Unterhaltsanspruches eines Kindes. Nur in seltenen Fällen und regelmäßig auch nur dann, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil über überdurchschnittliches Erwerbseinkommen verfügte reichte allein um die pauschale Berechnung des Kindesunterhaltes anhand der Düsseldorfer Tabelle nicht aus, um den wirklichen Bedarf des unterhaltsberechtigten Kindes zu erfassen.
Konkreter Unterhaltsbedarf
In diesen Fällen war die Geltendmachung eines über die höchste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle hinausgehenden Barunterhaltsanspruches eines Kindes aber nicht ausgeschlossen. Erfassen die Sätze der Düsseldorfer Tabelle regelmäßig nur den sog. Grundbedarf eines Kindes, der u. a. die Aufwendungen für Nahrung, Kleidung, Wohn- und Schulbedarf etc. erfasste konnte mittels einer Darlegung des sog. konkreten Bedarfes dann auch der über den Grundbedarf hinausgehende Unterhaltsbedarf des Kindes dargelegt und beziffert werden. In der Praxis stellte sich die Darlegung dieses konkreten Unterhaltsbedarfes jedoch meistens regelmäßig als sehr schwierig dar, da erfahrungsgemäß über die vergangene Lebensführung 'nicht Buch geführt wurde'. Die Darlegungslast für den konkreten Bedarf trägt aber regelmäßig das anspruchsberechtigte Kind.
Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle
Der BGH hat nun die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen auch im Falle überdurchschnittlicher Erwerbseinkünfte des barunterhaltspflichtigen Elternteiles erheblich erweitert, indem er der familiengerichtlichen Praxis über die Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle die Möglichkeit einräumt auch im Bereich der höheren Einkommensverhältnisse eines Elternteiles der erhöhte Unterhaltsanspruch des Kindes pauschaliert und nicht mehr konkret zu erfassen. Offengelassen hat der BGH in dieser Entscheidung vom 16.09.2020 - XII ZB 499/19 jedoch die konkrete Handhabung zur Ermittlung der zur Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle erforderlichen höheren Einkommensgruppen und die höheren Bedarfssätze. Hier hat der BGH lediglich Eckpunkte vorgegeben.
Neuberechnung der Unterhaltsansprüche
In der Praxis hat dies leider zu erheblichen Problemen geführt, da im Hinblick auf das 'wie' der Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle erhebliche Rechtsunsicherheiten bestanden. In der familienrechtlichen Literatur wurden Fortschreibungen der Düsseldorfer Tabelle über die bisher 10. Einkommensgruppe hinaus bis zu einer 20. Einkommensgruppe mit Bedarfssätzen von 240 % bis 272 % vertreten, die zu Bedarfssätzen von - je nach Altersstufe - bis fast 1.300,00 EUR führten.
Diesen mitunter doch sehr ausufernd wirkenden Fortschreibungen der Düsseldorfer Tabelle ist nun die Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages mit einer Berechnungsalternative entgegengetreten, die auch bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils zu einer weitaus moderateren Anhebung der Unterhaltsansprüche führte. Während die bislang in der Praxis angewandte Düsseldorfer Tabelle in der höchsten Einkommensgruppe einen Unterhaltsbedarf i. H. v. 160 % des Mindestunterhaltes vorsah, umfasst der Vorschlag der Unterhaltskommission eine Fortschreibung um weitere 5 Einkommensgruppen bis zu einem Unterhaltsbedarf von 200 % des Mindestunterhaltes.
Aufgrund der nach wie vor bestehenden Unsicherheit in der familiengerichtlichen Praxis und auch vor dem Hintergrund der ansonsten bestehenden Gefahr der Schaffung eines 'unterhaltsrechtlichen Flickenteppichs' verstreut über die unterschiedlichsten OLG-Bezirke liegt die Annahme nahe, dass sich die familiengerichtliche Praxis diesen Vorschlag der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages anschließen und zukünftig in die Praxis umsetzen wird.
Konkreter Unterhaltsbedarf weiter möglich
Für das unterhaltsberechtigte Kind bedeutet dies aber nicht, dass er zukünftig bei überdurchschnittlichen Erwerbseinkünften des barunterhaltspflichtigen Elternteiles auf dann eine Begrenzung seines Unterhaltsanspruchs auf max. 200 % des Mindestunterhaltes begrenz ist. Denn insoweit besteht auch nach der vorbenannten BGH-Entscheidung weiterhin Einigkeit: Die Darlegung eines konkreten Unterhaltsbedarfes und damit die Geltendmachung eines über den Höchstbetrag einer fortgeschriebenen Düsseldorfer Tabelle hinausgehenden Unterhaltsanspruches bleibt selbstverständlich auch weiterhin möglich.
Anpassung bestehender Unterhaltsansprüche
Die Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle mit den neuen höheren Unterhaltsbedarfssätzen findet auch Anwendung auf bereits bestehende Unterhaltstitel. Denn üblicherweise wird die Änderung der Rechtsprechung einer Rechtsänderung gleichgestellt und ist damit regelmäßig als Abänderungsgrund für die Anpassung bestehender Unterhaltsurkunden anerkannt.
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