Pressemitteilung zu den Entscheidungsgründen des BVerwG, 10 C 3.19

Aufgabenträger kann nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zwischen allgemeiner Vorschrift und öffentlichem Dienstleistungsauftrag wählen

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 10.10.2019 (Az. 10 C 3.19) die für ein von uns vertretenes mittelständisches Verkehrsunternehmen geführte Revision zurückgewiesen. Nun liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe vor.

BVerwG erklärt aV-finanzierte eigenwirtschaftliche Verkehre ausdrücklich für zulässig

Das BVerwG hat die Möglichkeit, Tarifmindereinnahmen aufgrund des Anwendungszwangs von unauskömmlichen Tarifen über allgemeine Vorschriften nach Art. 3 Abs. 2 VO 1370 auszugleichen und so die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrsleistung zu wahren, ausdrücklich für zulässig erklärt. Es hat keine Sperrwirkung des Europarechts gegenüber eigenwirtschaftlichen Verkehren ausgeurteilt.

Kein bedingungsloses, freies Wahlrecht des Aufgabenträger

Das BVerwG hat zwar entschieden, dass der Aufgabenträger wählen kann, ob er tarifbedingte Mindereinnahmen über eine eigenwirtschaftlichkeitsverträgliche allgemeine Vorschrift oder über einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag ausgleicht und hat damit einen Rechtsanspruch der Verkehrsunternehmen auf den Erlass einer allgemeinen Vorschrift abgelehnt. Das BVerwG ermächtigt den Aufgabenträger aber nicht, diese Entscheidung schrankenlos und frei zu treffen. Vielmehr führt es unter Rn. 23 des Urteils aus, dass diese Entscheidung pflichtgemäßes Ermessens des Aufgabenträgers erfordert. Bei dieser Entscheidung hat der Aufgabenträger einen Ausgleich zwischen den Anforderungen der Daseinsvorsorge und den privatwirtschaftlichen Interessen der in seinem Bereich tätigen Verkehrsunternehmen zu schaffen, vgl. Rn. 32.

Pflichtgemäßes Ermessen bereits bei Aufstellung des Nahverkehrsplans erforderlich

Unter Rn. 32 betont das BVerwG die Funktion des Nahverkehrsplans gemäß § 8 Abs. 3 PBefG, indem es darstellt, dass der zwingend erforderliche Interessenausgleich zwischen der Daseinsvorsorge und den privatwirtschaftlichen Interessen der tätigen Verkehrsunternehmen bereits im Aufstellungsverfahren des Nahverkehrsplans vorzunehmen sei. Schon dort hat der Aufgabenträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er zum Ausgleich nicht auskömmlicher Tarifbedingungen eine allgemeine Vorschrift erlässt, oder nicht.

Das BVerwG hebt in diesem Zusammenhang auch die Pflicht des Aufgabenträgers hervor, die vorhandenen Verkehrsunternehmen bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans nach § 8 Abs. 3 S. 2 und 6 PBefG frühzeitig zu beteiligen und nach § 8 Abs. 3 S. 7 PBefG die privatwirtschaftlichen Interessen angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen. Dieses Anforderungen an das Aufstellungsverfahren eines Nahverkehrsplans haben bislang in der Praxis wenig Berücksichtigung gefunden.

Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Verkehrsunternehmen durch Auferlegung eines nicht auskömmlichen Tarifs

Unter Rn. 34 bestätigt das BVerwG die Rechtsauffassung der Klägerin, dass die Auferlegung unauskömmlicher Tarife in die nach Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit eingreift. Allerdings hält das BVerwG diesen Eingriff in die Gewerbefreiheit für gerechtfertigt, da möglichst vielen Bürgern die Nutzung des ÖPNV zu günstigen Bedingungen zu ermöglichen sei. Angesicht dieser Gemeinwohlbelange sei den privaten Verkehrsunternehmen die Wahl des öffentlichen Dienstleistungsauftrags zumutbar. Gegen diese – nur sehr knappen – Ausführungen des BVerwG bestehen jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, sodass die von uns vertretene Klägerin die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erwägt.

Zentrale Fragen bleiben offen

Unbeantwortet bleibt die Frage, ob der Ausgleich der tarifbedingten Nachteile über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags für die Verkehrsunternehmen auch dann zumutbar sein soll, wenn der öffentliche Dienstleistungsauftrag per Direktvergabe an einen internen Betreiber bzw. im Wege des Inhouse-Geschäfts direkt an ein kommunale Verkehrsunternehmen des Aufgabenträgers vergeben werden soll; der öffentliche Dienstleistungsauftrag und damit der Ausgleich für tarifbedingte Mindereinnahmen also gar nicht dem Wettbewerb zugänglich gemacht wird.

Keine Aussage trifft das Urteil des BVerwG zudem darüber, ob Verkehrsunternehmen, die den nicht auskömmlichen Verbundtarif anwenden, aber keinen Ausgleich über § 45a PBefG oder eine entsprechende landesrechtliche Ersetzungsnorm erhalten, verpflichtet sind, die Schüler auch ohne entsprechenden Ausgleich zu befördern.

Diese weithin offenen Rechtsfragen werden die Praxis und die Rechtsprechung in der Zukunft weiter beschäftigen.

Seminar “Anspruch auf allgemeine Vorschrift im ÖPNV“ am 7.2.2020 im GenoHotel Baunatal

Eine detaillierte Analyse des Urteils und die Auswirkungen werden wir in unserem Seminar am 7.2.2020 im GenoHotel in Baunatal besprechen. Anmeldungen sind weiterhin per E-Mail über seminar@roling-partner.de möglich.

 

Dr. jur. Sebastian Roling, LL.M. (Public Law)
Rechtsanwalt

Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Fachanwalt für Vergaberecht 

 

Till Martin
Rechtsanwalt

Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Fachanwalt für Vergaberecht

 

Dr. jur. Anna-Katharina Kraemer
Rechtsanwältin

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