Einen recht tragischen Fall hatte das brandenburgische OLG zu entscheiden; der Erblasser hatte sich nach längerer Alkoholsucht und Depressionen das Leben genommen. Unstreitig Bipolar gestört und an der Flasche hängend verfügte er in seinem Testament, das seine Ziehtochter Alleinerbin sein soll. In Abschiedsbriefen begründete er seinen Selbstmord und seine letztwilligen Verfügungen zusätzlich.
Ziehtochter oder Schwester Alleinerbin?
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, dem trat die Schwester des Erblassers entgegen, welche meinte, ihr Bruder sei gar nicht mehr in der Lage gewesen, ein wirksames Testament zu errichten, er sei testierunfähig.
Sachverständiger begutachtet nachträglich Testierfähigkeit
Es wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, nach welchem das Amtsgericht der Ziehtochter Recht gab, die Schwester wandte sich hiergegen an das Oberlandesgericht.
Bestätigung des Testamentes durch Oberlandesgericht
Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts; gemäß § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig nur, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies sah das Oberlandesgericht trotz der unstreitigen schweren Erkrankung des Erblassers als nicht durch das Sachverständigengutachten bestätigt an.
(Alkohol-)krank heißt nicht automatisch testierunfähig!
Zwar sei der Erblasser auch nach Ansicht der Sachverständigen schwer krank gewesen und habe an körperlichen Einschränkungen gelitten. Es sei aber gerade nicht bewiesen, dass diese Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachten, welche den freien (letzten) Willen des Erblassers beeinträchtigt hätten.
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Eine Beeinträchtigung des freien Willens des Erblassers anzunehmen, muss strengen Voraussetzungen unterliegen. Denn Folge ist stets, dass nicht der Wille des Erblassers geachtet wird, sondern es zu abweichenden Vermögensverschiebungen im Rahmen der gesetzlichen Rechtsfolge kommt.
Testierfähig, bis das Gegenteil bewiesen ist
Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist daher zutreffender Weise jeder Erblasser solange als testierfähig anzusehen, bis das Gegenteil erwiesen ist. Die Hürden zur Feststellung einer Testierunfähigkeit sind hoch – gleichwohl empfiehlt es sich, im Rahmen beginnender Erkrankungen rechtzeitig vorzusorgen, um derartige Einwände und langjährige Streitereien von Beginn an zu vermeiden.
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Hermann Roling
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