Sorgerechtsübertragung – nicht mehr ohne Sachverständigengutachten!

Der Streit um die alleinige Ausübung des elterlichen Sorgerechtes oder auch nur Teilbereichen hiervon (Aufenthaltsbestimmungsrecht, gesundheitliche Fürsorge, schulische Angelegenheiten usw.) zählt zu den Kernbereichen einer Auseinandersetzung zwischen miteinander verheirateten oder auch nicht miteinander verheirateten Eltern aus dem Bereich des Kindschaftsrechtes.

Im Mittelpunkt: Das Kindeswohl

Maßgebliches Kriterium für eine gerichtliche Entscheidung durch das Familiengericht in Kindschaftssachen ist dabei ausschließlich das Kindeswohl. Dementsprechend kam in der Vergangenheit bei der Entscheidung des Familiengerichtes den zwingend am Verfahren zu beteiligten Institutionen des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes maßgebliche Bedeutung zu. In der Regel orientierte sich das Familiengericht an der Einschätzung von Jugendamt und Verfahrensbeistand, um schlussendlich zu ermitteln, welche Sorgerechtsregelung aus der Sicht des Kindeswohles die beste Alternative ist. Die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens war dabei die Ausnahme.

Änderung der bisherigen Gerichtspraxis

Den fachlichen Einschätzungen von Jugendamt und Verfahrensbeistand lagen dabei regelmäßig die aus den Gesprächen mit den jeweiligen Elternteilen und dem Kind gewonnenen Eindrücke zugrunde. Als zunehmend problematisch hat sich hierbei jedoch herausgestellt, dass Inhalt, Umfang und Aussagekraft dieser gewonnenen Gesprächseindrücke regelmäßig von der Anzahl und der Dauer der von den Fachinstitutionen geführten Gespräche bestimmt waren, die mitunter noch nicht einmal in einem persönlichen Gespräch und daher ohne Kenntnis der häuslichen Situation vor Ort gewonnen wurden.

Aufenthaltsbestimmungsrecht nur noch mit Sachverständigengutachten

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat mit Beschluss vom 05.12.2023 – 11 UF 148/23 – den Ermessensspielraum des Familiengerichtes bei der Auswahl und Würdigung der zur Beurteilung des Kindeswohles heranzuziehenden Kriterien zumindest für eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht nachhaltig eingeschränkt.

Zwar bleibt es auch weiterhin dem erkennenden Gericht überlassen, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Entscheidung für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Jedoch muss das Verfahren zur Erlangung einer möglichst zuverlässigen Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung geeignet sein. Die sowohl für das Kind, als auch für die Eltern existentiell wichtige Frage seines Aufenthaltes wird das erkennende Gericht im Regelfall aber nicht ohne sachverständige Hilfe beantworten können. Hier kann von der Beiziehung eines Sachverständigen nur abgesehen werden, wenn das Gericht anderweitig über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügt.

OLG Oldenburg vom 05.12.2023 – 11 UF 148/23 –

Für die Gerichtspraxis hat diese Entscheidung zur Folge, dass das Familiengericht zumindest bei einem Streit der Eltern über das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein oder mehrere gemeinsame Kinder ohne Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens keine abschließende Entscheidung herbeiführen kann.

Ihr Ansprechpartner in familienrechtlichen Angelegenheiten:

Dr. jur. Michael Carstens

Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Familienrecht
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