Gerade bei Verkehrsunfällen mit schweren Personenschäden entsteht häufig ein Streit um die Höhe des von der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zu zahlenden Schmerzensgeldes. Die Erwartungen des Geschädigten, dessen Leben durch die schwerwiegenden Verletzungen völlig auf den Kopf gestellt wird, weichen meistens von den Schmerzensgeldzahlungen der eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherung ab. So kommt es dann zu Streitigkeiten vor Zivilgerichten, die dann über die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes zu entscheiden haben. Üblicherweise orientieren sich die Zivilgerichte dabei an der ADAC-Schmerzensgeldtabelle. In dieser Liste sind eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen zu ganz unterschiedlichen Verletzungsfolgen aufgeführt, bei denen dann Zivilgerichte die Höhe eines Schmerzensgeldes ausgeurteilt haben. Hieran orientieren sich insbesondere die Amts- und Landgerichte bundesweit, die erstinstanzlich für die Beurteilung von Schmerzensgeldzahlungen zuständig sind.
Das taggenaue Schmerzensgeld
Das OLG Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 04.06.2020 (22 U 244/19) einen neuen Ansatz verfolgt, nämlich das sog. taggenaue Schmerzensgeld. In dem dort entschiedenen Fall war der Kläger im Rahmen von 13 Aufenthalten insgesamt 500 Tage stationär im Krankenhaus behandelt worden und seit dem Unfall zu 60% in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Das Landgericht Darmstadt hatte insoweit ein Schmerzensgeld von 100.000,00 EUR zugesprochen, wohingegen der Kläger Berufung zum OLG Frankfurt eingelegt hatte. Dieses billigte dann ein Schmerzensgeld von insgesamt 200.000,00 EUR zu. Hierbei vertritt das OLG Frankfurt die Auffassung, dass bei der Bemessung von Schmerzensgeld neben allen anderen, insbesondere auch individuellen Gesichtspunkten, die Grundsätze der taggenauen Schmerzensgeldberechnung im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle zu berücksichtigen sind, gerade um die Belastung durch dauerhafte Beeinträchtigungen abzubilden. Bei der dann vorgenommenen taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes wird pro Tag auf der Intensivstation ein Schmerzensgeldbetrag ausgeurteilt, im Folgenden ein einzelner Betrag pro Tag für den Aufenthalt auf einer Normalstation und des Weiteren dann pro Tag ein Betrag für den Aufenthalt in der Reha. Diese einzeln aufgelisteten Beträge werden dann addiert, was eben bei dieser Berechnungsart des Schmerzensgeldes zu deutlich höheren Beträgen als bei der herkömmlichen Methode nach der ADAC-Schmerzensgeldtabelle führt.
Im Rahmen der Revision bzgl. dieses Urteils des OLG Frankfurt hat nunmehr der BGH mit Entscheidung vom 15.02.2022 (VI ZR 937/20) dieser Berechnung des taggenauen Schmerzensgeldes jedenfalls vorläufig eine Absage erteilt. Der Bundesgerichtshof hat nämlich das Urteil des OLG Frankfurt aufgehoben und den Streit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, um das Schmerzensgeld dort neu zu bemessen. In seiner Begründung stellt der BGH klar, dass kein isolierter Blick auf einzelne Umstände des Falles geworfen werden dürfe, sondern es ist einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles für die Bemessung des Schmerzensgeldes der Vorzug zu geben. Dabei sind die Schwere der Verletzung, das durch die Verletzung bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers einzustellen. Insoweit ist zunächst die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung beim Geschädigten zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist nach BGH-Auffassung eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen. Insoweit kann die Entschädigung nach BGH-Auffassung nicht streng rechnerisch oder schematisch ermittelt werden.
Der BGH führt aus, dass bei der Zugrundelegung des taggenauen Schmerzensgeldes keine schematische Konzentration allein auf die Anzahl der Tage, die der Verletzte auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, vorgenommen werden. Vielmehr müsse geklärt werden, welche Verletzungen vorliegen, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid beim Verletzten ausgelöst wurde. Gleiches gilt nach BGH-Auffassung für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung, sodass hier eine individuelle Bemessung des Schmerzensgeldes vorzunehmen ist.
Es bleibt nunmehr abzuwarten, wie das OLG Frankfurt im Rahmen der Neubemessung des Schmerzensgeldes diese Rechtsausführungen des BGH umsetzt. Insoweit bleibt spannend, ob sich die taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes, wie vom OLG Frankfurt vertreten, nicht zukünftig durchsetzen wird oder zumindest mehr Berücksichtigung findet.
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