Unterkunft für Asylbegehrende in einem Wohngebiet

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 06.10.2015, Aktenzeichen 3 S 1695/15, entschieden, dass Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber „soziale Anlage“ im Sinne des § 3 Abs.2 Nr.2 BauNVO sind, und daher auch in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sind.

Hintergrund des Verfahrens ist die Umnutzung eines vorhandenen Gaststättengebäudes in eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbegehrende. Insgesamt sollen dort 26 Personen untergebracht werden. Das gerichtliche Verfahren kam deshalb ins Rollen, weil ein Nachbar gegen die Baugenehmigung Widerspruch eingelegt hatte und zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes versucht hatte, die Umsetzung der Baugenehmigung zu verhindern. 

Kläger: „Massierte Nutzung“ des Gebäudes im Wohngebiet nicht zulässig

Der Nachbar meinte, dass die geplante Gemeinschaftsunterkunft aufgrund der Vielzahl von Personen in der ehemaligen Gaststätte eine ''massierte Nutzung'' des Gebäudes darstelle und in dem umgebenden Wohngebiet nicht zulässig sei. Es widerspräche massiv der Gebietsverträglichkeit und sei aufgrund der Intensität des Zugangs- und Abgangsverkehres in diesem Bereich nicht umsetzbar. Er befürchtete außerdem, dass es das Wohnen stören oder zu beachtlichem Störpotenzial führen könne. 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschwerdeverfahren im Nachgang zum Verwaltungsgericht Stuttgart den Antrag des Nachbarn abgelehnt. Es meint, dass das Vorhaben zulässig sei. Obwohl ein Fall des § 34 BauGB, sogenannter unbeplanter Innenbereich, vorliege, sei der Bereich in Anwendung des § 3 BauNVO wie ein „reines Wohngebiet“ zu beurteilen. In diesem seien Anlagen für soziale Zwecke auch – allerdings ausnahmsweise - zulässig. 

Verwaltungsgerichtshof: Zweck der sozialen Fürsorge erfüllt

Anlagen für soziale Zwecke dienten in einem weiten Sinne der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt. Es handele sich um Nutzungen, die auf Hilfe, Unterstützung, Betreuung und ähnliche fürsorgerische Maßnahmen ausgerichtet seien. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Insoweit habe die Baugenehmigungsbehörde die Genehmigung zurecht erteilt. 

Auch das ungeschriebene Erfordernis der Gebietsverträglichkeit, das auch und gerade für ausnahmsweise zulässige Nutzung gelte, sei erfüllt. Das Vorhaben müsse nämlich generell geeignet sein, das Wohnen in einem reinen Wohngebiet zu stören. Dies sei aber bei der Unterbringung von Asylbegehrenden in der hier geplanten Form nicht gegeben. 

So sei die Nutzung dem des Wohnens sehr ähnlich und das Vorhaben sei auch nach seinem räumlichen Umfang, der Zahl der unterzubringenden Personen und der Intensität des Zu- und Abgangsverkehrs nicht generell geeignet, den Charakter eines reinen Wohngebiets zu stören. 

Beschluss lässt keine weitere Sachaufklärung zu

Letztendlich sei auch das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt, weil die konkrete örtliche Situation dies nicht hergebe. Schließlich gebe es auch einen erheblichen Bedarf an derartigem Wohnraum, der ansonsten nicht lösbar schiene. 

Die Wertung des Gerichtes ergab sich dabei insbesondere aus der Größe der geplanten Unterkunft und der „überschaubaren“ Zahl der unterzubringenden Personen. Eine weitergehende Sachaufklärung ist aus dem Beschluss nicht erkennbar. 

Auch wenn man diese Entscheidung, die sich zudem außerhalb eines Bebauungsplanes abspielte, nur auf den konkreten Einzelfall und die dort gegebenen Umstände beziehen darf, zeigt sich hier die sehr weitgehende Zulässigkeit solcher Vorhaben. Auch wenn das Gericht mit guten Argumenten die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in diesem Bereich dargelegt hat, stellt sich grundsätzlich die Problematik, ob Nachbarn und - wenn ja - welche Schutzansprüche geltend machen können. 

Sicherlich richtig ist der Hinweis auf den großen Bedarf geeigneter Einrichtungen. Gleichwohl ist bei allem Verständnis für eine rechtspolitische Aussage auch zu fragen, welche nachbarschaftlichen Problematiken dadurch ausgelöst und welche dauerhaften Konfliktsituation geschaffen werden. Wer hier – wie der VGH – auf abstrakter Ebene argumentiert, wird den tatsächliche Konflikt vor Ort nicht lösen.

Auch wenn der Gesetzgeber inzwischen zeitlich befristet in § 246 BauGB Lösungsansätze definiert hat und dadurch Ansiedlungen befördert, ist doch immer das konkrete nachbarliche Interesse zu würdigen und auch wertzuschätzen. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber solche Verfahren als „Ausnahmefälle“ definiert, diese direkt in gewachsenen Bestand eingreifen und im unbeplanten Innenbereich anders als z.B. im Bauplanungsrecht keine vorgeschaltete „Konfliktbewältigung“ existiert.

Jan Kuhlmann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Erster Beigeordneter a.D.

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