Mit Beschluss vom 07.10.2010 hat die Vergabekammer Münster entschieden, dass die von den Landkreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf beabsichtigte Direktvergabe eines Auftragsvolumens von 16 Millionen Fahrplankilometern/Jahr auf insgesamt 347 Linien für eine Vertragslaufzeit von zehn Jahren unwirksam ist. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.
- Zusammenfassung des Rechtsstreits
Die Kreise hatten mit Bekanntmachung vom 08.07.2009 (Az. 2009/S 128-186984) im Amtsblatt der EU mitgeteilt, dass sie beabsichtigen, ihr kommunales Tochterunternehmen Regionalverkehr Münsterland (RVM) mit der oben genannten Verkehrsleistung ohne Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens direkt zu beauftragen. Hiergegen wandte sich die von uns vertretene Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer Münster.
Die Vergabekammer stellte fest, dass das Vorgehen der Münsterlandkreise vergaberechtlich unzulässig ist: Entgegen der Meinung der Kreise hält sich die Vergabekammer für zuständig für die Überprüfung derartiger Direktvergaben. Sie stellt fest, dass es nicht darauf ankommt, ob der Vertrag über die Direktvergabe bereits geschlossen ist – für die Eröffnung der rechtlichen Überprüfung genüge die Ankündigung der Direktvergabe im EU-Amtsblatt (S. 14 f. d. Beschl.).
Keine Dienstleistungskonzession, sondern Dienstleistungsauftrag
Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass die VO (EG) Nr. 1370/07 nicht anwendbar ist. Der konkret von den Kreisen beabsichtigte Vertrag stelle keine Dienstleistungskonzession (DLK), sondern einen Dienstleistungsauftrag dar. Nur im Fall einer DLK sei jedoch der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet, anderenfalls habe das allgemeine Vergaberecht Vorrang (S. 17 d. Beschl.). Eine DLK setze aber voraus, dass nicht die Kreise, sondern die RVM zukünftig das unternehmerische Risiko trage. Ob dies der Fall sei, ergebe sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung.
Ein maßgebliches Risiko verneinte die Vergabekammer trotz Vorliegen eines Nettovertrags im Hinblick auf die weitgehende Absicherung der RVM im Vertragsentwurf (S. 19 ff. d. Beschl.). Insbesondere die Überbürdung des Einnahmerisikos hinsichtlich der Fahrgeldeinnahmen sei jedenfalls kein wesentliches Risiko, denn:
Die zu erwartenden Schwankungen der Fahrgelderlöse seien nur ein geringfügiges Risiko, da der ÖPNV zunehmend attraktiver für breite Bevölkerungsschichten werde;
Die RVM könne Fahrpläne und Qualitätsangebot sowie den Tarif nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten selbst gestalten;
Der Sollkostensatz werde jährlich an die Preisentwicklung für Personal, Dieselkraftstoff und sonstige Sachmittel angepasst;
Darüber hinaus fänden sich weitere Risikoabsicherungen zu Gunsten der RVM:
Gesetzliche Ausgleichszahlungen gemäß § 45a PBefG (Schüler- und Auszubildendenbeförderung) und § 148 SGB IX (Schwerbehindertenbeförderung) dürfe die RVM vereinnahmen, der Wegfall derartiger Regelungen sei zudem vertraglich abgesichert;
Gleiches gelte für Investitionsförderungen gemäß GVFG, deren etwaiger Wegfall aufgrund Gesetzesänderungen ebenfalls abgesichert sei;
Die Kreise würden Bürgschaften für Darlehen der RVM stellen;
Umliegende Gemeinden würden Zuschüsse für angrenzende Linien zahlen;
Die Kreise würden Ausgleichszahlungen leisten, sei es aufgrund der ÖPNV-Pauschale des Landes NRW, oder in Form eines direkten Zuschusses;
Es sei mit Tariferhöhungen von 2% pA im für die RVM maßgeblichen Tarifverbund zu rechnen.
Das Erfordernis einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung, die Betriebspflicht gemäß § 21 f. PBefG, sowie die weiteren Pflichten gemäß StVZO und BOKraft erkennt die Vergabekammer nicht als Risiken im Sinne einer DLK an, weil diese gesetzlich, nicht vertraglich aufgebürdet werden und jedes Unternehmen gleichermaßen treffen.
Inhousegeschäft bei Leistungsübertragung an Subunternehmer ausgeschlossen
Die Kreise hatten sich bemüht, die Anerkennung der Auftragsvergabe, wenn schon nicht als Direktvergabe im Sinne der VO (EG) Nr. 1370/07, dann doch als sonstiges vergaberechtsfreies Inhousegeschäft gewertet zu sehen. Dem folgte die Vergabekammer ebenfalls nicht (S. 25 f. d. Beschl.):
Denn der Vertrag sah vor, dass ein wesentlicher Teil der auf die RVM übertragenen Leistung durch Subunternehmer erbracht werden soll, weil das Auftragsvolumen für die RVM allein zu groß ist. In einem solchen Fall liege eine Marktberührung vor, die ein Inhousegeschäft ausschließe (S. 27 f. d. Beschl.). Denn hierdurch stehe fest, dass nicht die RVM die Tätigkeit im Wesentlichen für die Kreise verrichte (wie es der EuGH fordert), sondern zumindest auch die Subunternehmer. Ob die RVM die Subunternehmerverträge zukünftig unter Beachtung des Vergaberechts vergebe, sei unerheblich; denn die RVM sei als Sektorenauftragsgeber nur zur Anwendung eines Verhandlungsverfahrens verpflichtet, was gegenüber einem europaweiten offenen Verfahren eine wesentlich geringere Transparenz und Wettbewerbsintensität aufweise.
Außerdem sei die Antragstellerin dann darauf beschränkt, sich um Subunternehmerverträge zu bewerben, was mit der Stellung als Bieterin um den originären Auftrag nicht vergleichbar sei.
Darüber hinaus verletze die Direktbeauftragung mit 347 Linien en bloc das Recht der Antragstellerin auf losweise Vergabe gemäß § 97 Abs. 3 GWB.
Ferner ließ es die Vergabekammer offen, ob die Kreise über die RVM überhaupt die nötige Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübe (S. 25 f. d. Beschl.). Dagegen sprächen jedenfalls die gesellschaftsrechtlichen Verstrickungen der RVM und die Tatsache, dass der Geschäftsführer der RVM zugleich Geschäftsführer weiterer Unternehmen sei, was zu Interessenkonflikten führen könne. Die Konstruktion der RVM entspreche eher einer Aktiengesellschaft – hinsichtlich Aktiengesellschaften ist allgemein anerkannt, dass diese nicht im Wege der Inhousevergabe beauftragt werden können.
Weitere Ausnahmen vom Vergaberecht gemäß § 100 Abs. 2 GWB lägen nicht vor.
Die Vergabekammer bestätigt die von Roling & Partner und vom Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) vertretene Auffassung, dass die Verordnung auf kommerzielle Verkehre keine Anwendung findet (S. 18 Beschl.).
2. Ergebnis
Sollte der Beschluss der Vergabekammer rechtskräftig werden oder vom OLG Düsseldorf im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens bestätigt werden, werden Direktvergaben gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/07 und Inhousegeschäfte im Bereich des ÖPNV zukünftig nur unter sehr engen Bedingungen möglich sein.
Private Wettbewerber müssen Rekommunalisierung des ÖPNV nicht widerstandslos hinnehmen
Der Beschluss macht jedenfalls deutlich, dass die teilweise propagierte Möglichkeit, kommunale Tochterunternehmen könnten unter Ausschaltung des Vergaberechts problemlos mit hochlukrativen Verträgen versorgt werden, mit erheblichen rechtlichen Risiken behaftet ist. Private Wettbewerber müssen demnach eine sie betreffende Rekommunalisierung des ÖPNV nicht widerstandslos hinnehmen, sondern haben mit dem Vergaberechtsweg eine rasche und wirksame Möglichkeit zur Überprüfung derartiger Aufgabenträgerentscheidungen. Eine geschwärzte Version des Beschlusses versenden wir auf Anfrage. Bei Rückfragen zum Vergaberecht wenden Sie sich gerne an
Dr. jur. Sebastian Roling, LL.M. (Public Law)
Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Fachanwalt für Vergaberecht
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht