Auskunftsanspruch eines Stellenbewerbers? Urteil des EuGH vom 19.04.2012

In den letzten Jahren haben sich deutsche Arbeitsgerichte wiederholt mit Klagen abgelehnter Stellenbewerber in verschiedenen Konstellationen befassen müssen, vor allem nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Abgelehnte Stellenbewerber, die eine Diskriminierung wegen eines der Merkmale nach dem AGG geltend machen konnten, vor allem bei einer nicht bereits diskriminierungsfreien Ausschreibung der Stelle, konnten insoweit Schadenersatz verlangen. Dies hat manche Arbeitgeber dazu veranlasst, abgelehnten Stellenbewerbern gegenüber überhaupt keine Auskunft mehr dazu zu erteilen, ob die Stelle überhaupt besetzt worden ist, bzw. warum die Bewerbung des Arbeitnehmers nicht zum Zuge gekommen ist.

Meint ein Arbeitnehmer, dass er beispielsweise wegen einer Schwerbehinderung, seines Alters, seines Geschlechtes oder auch seiner Herkunft nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist oder nicht eingestellt wurde, dann muss er dies schlüssig darlegen, gelingt ihm dies, dann allerdings muss der Arbeitgeber den vollen Gegenbeweis dafür erbringen, dass der Arbeitgeber den abgelehnten Bewerber nicht benachteiligt hat. Der Arbeitgeber muss dann die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Indizien widerlegen und darlegen sowie nachweisen, dass ein schlüssig vorgetragenes Diskriminierungsmerkmal selber nicht der Grund für die erfolgte Ablehnung war.

Arbeitnehmer könnten künftig leichter Benachteiligung geltend machen

Abgelehnte Stellenbewerber hatten somit häufig das Problem, eben gar nicht zu wissen, warum die Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, was es dem Arbeitnehmer zumindest sehr schwer macht, eine Benachteiligung aus den genannten Gründen schlüssig vorzutragen.

Schon im Mai 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht zu einem dort anhängigen Rechtsstreit den Europäischen Gerichtshof ersucht, zu der für den Rechtsstreit entscheidenden Frage Stellung zu nehmen, ob nach Europäischem Recht, insbesondere der Richtlinie 2000/43 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes es geboten ist, einen Auskunftsanspruch des abgelehnten Stellenbewerbers zu den Gründen seiner Ablehnung anzunehmen.

Mit jetzigem Urteil vom 19.04.2012 hat der EuGH im Ergebnis verneint, allerdings dennoch Rechtsfragen erörtert, die annehmen lassen, dass abgelehnte Stellenbewerber künftig etwas leichter eine Benachteiligung geltend machen können.

Bundesarbeitsgericht legt Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vor

Konkret verhandelt wurde der Fall einer aus Russland stammenden und in Deutschland lebenden Systemtechnik-Ingenieurin, die sich auf eine ausgeschriebene Stelle als „erfahrene/-n Softwareentwickler/-in“ schon 2006 bewarb. Nach weniger als einer Woche lehnte die Arbeitgeberin die Bewerbung ab, kurz danach erschien, nach zunächst in der Presse veröffentlichter Stellenanzeige, dieselbe Stellenanzeige inhaltlich unverändert nochmals im Internet. Die nochmalige Bewerbung der Interessentin wurde wiederum abgelehnt, ohne Mitteilung von Gründen. 

Die Arbeitnehmerin war der Auffassung, wegen ihres Geschlechtes, des Alters und der ethnischen Herkunft benachteiligt worden zu sein und erhob Klage auf Schadenersatz sowie auf Vorlage der Bewerbungsunterlagen des tatsächlich eingestellten Bewerbers, um nachweisen zu können, selber besser qualifiziert gewesen zu sein. Die Klage blieb in I. und II. Instanz erfolglos, im Rahmen der zugelassenen Revision zum Bundesarbeitsgericht legte dieses das oben genannte Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vor.

Bewerber hat keinen Anspruch auf Auskunft, ob Stelle besetzt wurde

Der EuGH hat hierzu entschieden, dass auch für einen Arbeitnehmer, der schlüssig darlegen kann, die in der Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen zu erfüllen und dessen Bewerbung dennoch nicht berücksichtigt wurde, kein Anspruch auf Auskunft aus den EG-Richtlinien herzuleiten ist, der den Arbeitgeber auch nur verpflichten würde, eine überhaupt erfolgte Auswahl eines anderen Bewerbers mitzuteilen. Nach Auffassung des EuGH kann ein Bewerber somit nicht die Herausgabe der Bewerbungsunterlagen eines ausgewählten Bewerbers verlangen, sondern hat nicht einmal Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber überhaupt mitteilt, ob die Stelle besetzt worden ist.

Allerdings: Der EuGH hat in seiner Entscheidung mehrfach darauf hingewiesen, es sei Sache des Prozessgerichtes, darüber zu wachen, dass die Klärung der Frage erfolgt, ob es genügend Indizien gibt, um Tatsachen als nachgewiesen anzusehen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen. Dabei seien alle Umstände des Ausgangsrechtsstreites zu berücksichtigen, insbesondere auch der Umstand, dass im konkreten Fall der Arbeitnehmerin jeder Zugang zu Informationen verweigert worden sei. 

Im zweiten Absatz des Urteilstenors heißt es wörtlich: „Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen eines Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichtes, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreites zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.“

Damit reicht somit sozusagen der EuGH den „Schwarzen Peter“ an das Bundesarbeitsgericht, bzw. die Prozessgerichte allgemein, zurück.

Erhöhtes Prozessrisiko für Arbeitgeber, die keine Auskunft geben

Man wird allerdings aus der Formulierung herleiten können oder auch müssen, dass ein Arbeitgeber sich einem erhöhten Prozessrisiko aussetzt, wenn er einen grundsätzlich geeigneten und einen mit dem Stellenprofil entsprechenden Qualifikationen ablehnt und auch auf Anforderung keinerlei Gründe mitteilt, vor allem wenn er dann nachfolgend die Stelle nochmals neu ausschreibt, wie im konkret entschiedenen Fall geschehen. 

Die nochmalige Stellenausschreibung nach Eingang einer Bewerbung, die das Anforderungsprofil grundsätzlich erfüllte, dürfte ein Indiz dafür darstellen, dass hier die Bewerbung aus Gründen, die jedenfalls nichts mit der Qualifikation des Arbeitnehmers zu tun hatten, abgelehnt wurde. Verweigert dann trotz Aufforderung ein Arbeitgeber nachfolgend jegliche Auskunft dazu, warum die Bewerbung abgelehnt wurde, dann könnten die Instanzgerichte künftig dazu neigen, die Vermutung einer Diskriminierung zu bejahen, was dann wiederum dem Arbeitgeber die Beweislast für eine diskriminierungsfreie Ablehnung aufbürden würde.

Fazit: Arbeitnehmer dürften es künftig zumindest etwas leichter haben, auf eine mögliche Diskriminierung bei einer Ablehnung als Stellenbewerber reagieren zu können. Arbeitgebern wird man grundsätzlich raten müssen, die jetzige Entscheidung des EuGH schon bei der Festlegung des Stellenprofiles und der dort genannten Qualifikationen zu berücksichtigen.

Bei Fragen hierzu ist Ansprechpartner der Unterzeichner.

Rechtsanwalt Christoph Schürmann

Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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