Anspruch auf Rohmessdaten im Bußgeldverfahren

Das Bundesverfassungsgericht hat am 12.11.2020 eine für Verkehrsordnungswidrigkeiten sehr wichtige Entscheidung getroffen. Es geht hierbei um den Zugang zu den sogenannten Rohmessdaten eines Geschwindigkeitsmessgerätes, also um Zugang zu außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen. Einen solchen Anspruch hatte bereits der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes mit Beschluss vom 27.04.2018 bejaht. Die Oberlandesgerichte sind dieser Rechtsaufassung deutschlandweit nicht gefolgt.

Oberlandesgerichte beanstanden das standardisierte Messverfahren

In dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall hatte auch die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Bamberg, die Rechtsbeschwerde verworfen. Erstinstanzlich hatte das Amtsgericht Hersbruck den Betroffenen wegen einer erheblichen Geschwindigkeitsübertretung zu einer Geldbuße von 160,00 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Das Amtsgericht Hersbruck war dabei der Auffassung, dass bei der Geschwindigkeitsmessung ein Messgerät zum Einsatz gekommen wäre, das ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren sei, sodass die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswertes indiziert sei. Ein Beweisantrag auf Herausgabe der Rohmessdaten verwarf das Amtsgericht.

Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass dem hier betroffenen Autofahrer Zugang zu den von ihm begehrten Informationen, die nicht Bestandteil der Bußgeldakte waren, zu entsprechen gewesen wäre. Damit hat das Amtsgericht Hersbruck gegen den Grundsatz des Rechtes auf ein faires Verfahren aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz verstoßen. Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich an, dass bei standardisierten Messverfahren an die Beweisführung und die Urteilsfeststellung der Fachgerichte geringere Anforderung zu stellen sind, jedoch bleibt der Anspruch des Betroffenen, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden. Ihm bleibt die Möglichkeit eröffnet, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht stellt insoweit klar, dass die Fachgerichte dem aus dem Recht auf ein faires Verfahren resultierenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Informationszugang auch zu den nicht zur Bußgeldakte genommenen Informationen nicht hinreichend Rechnung getragen hat.

Waffengleichheit zwischen Bußgeldbehörden und Autofahrern

Insoweit wird im Beschluss klargestellt, dass ein rechtsstaatliches und faires Verfahren "Waffengleichheit" zwischen den Verwaltungsbehörden und den Beschuldigten erfordert. Insoweit hat der Beschuldigte ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte. Insoweit hat der Betroffene auch ein Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zwecke der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Folglich wirft das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall dem Fachgericht vor, dass es verkannt hat, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Amtsgerichtes Hersbruck mit dem Beschluss des OLG Bamberg wegen Grundrechtsverletzung aufgehoben und den Vorgang erneut an das Amtsgericht Hersbruck zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Das Bundesverfassungsgericht stärkt also die Rechte der Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren, weil ihnen durch den Zugang zu den Rohmessdaten, der regelmäßig von den Verwaltungsbehörden und auch den Bußgeldgerichten verweigert wird, neue Verteidigungsmöglichkeiten durch Einholung eines Privatgutachtens zur Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung eröffnet werden.

Ihr Anspruch in Ordnungswidrigkeitenverfahren:

Ralf Wöstmann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht 

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