BVerwG zum Vorrang der Unternehmerinitiative

In den von uns betriebenen "hessischen Verfahren" zu den Linienbündeln Biebertal/Heuchelheim und Grünberg/Fernwald hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits mit Urteil vom 29.10.2009, Az. 3 C 1.09 und 3 C 2.09 die Revision der beteiligten Aufgabenträger und Konkurrenzunternehmen gegen die Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom November 2008 zurückgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht stärkt seine bereits mit Urteil vom 19.06.2006 (Az. 3 C 33/05) begründete Auffassung von der "gestuften Konstruktion" eigen- und gemeinwirtschaftlicher Verkehre hin zu einem "Vorrang der Unternehmerinitiative" und macht deutlich, wie dieser Vorrang ausgestaltet sein muss. Demnach ist jede gemeinwirtschaftliche Genehmigung rechtswidrig, solange nicht der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit hinreichend geachtet wurde.

Prognose zur eigenwirtschaftlichen Erbringbarkeit bedarf Bestätigung

Das Recht der Aufgabenträger, einen Verkehr auszuschreiben, steht nicht nur materiell, sondern auch prozessual unter dem Vorbehalt eigenwirtschaftlicher Anträge – dem Ausschreibungswettbewerb ist stets ein Genehmigungswettbewerb vorzuschalten. Das Vergaberecht ist nach Auffassung des BVerwG folglich in doppelter Hinsicht subsidiär zum PBefG.

Zwar gesteht das BVerwG den Aufgabenträgern eine Prognose über die eigenwirtschaftliche Erbringbarkeit des fraglichen Verkehrs zu – diese könne jedoch für sich nicht abschließend sein, sondern bedürfe der Bestätigung durch die Unternehmerschaft. Nur wenn die Verkehrsunternehmer keinen Antrag stellen, geben sie also durch ihr "beredtes Schweigen" die Initiative des Aufgabenträgers frei.

Fristsetzung nur in Abstimmung mit Genehmigungsbehörde 

Das BVerwG fordert für eine wirksame Prognose der Aufgabenträger eine rechtzeitige und hinreichend transparente, qualifizierte Aufforderung der Unternehmerschaft zur Abgabe eigenwirtschaftlicher (nunmehr "kommerzieller") Anträge. Im Rahmen dieser Aufforderung darf eine angemessene Frist zur Abgabe solcher Anträge gesetzt werden; erst nach fruchtlosem Ablauf der Frist ist die Initiative des Aufgabenträgers eröffnet. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Aufgabenträger bereits mit der Aufforderung unmissverständlich darauf hin weist, dass Anträge nach Ablauf der Frist die Ausschreibung nicht mehr zu hindern vermögen.

Die Aufforderung zur Abgabe kommerzieller Anträge obliegt also grundsätzlich dem Aufgabenträger; hinreichende Transparenz wird aufgrund des bereits vom EuGH festgestellten grenzüberschreitenden Bezugs von ÖPNV-Dienstleistungen hier nur durch europaweite Bekanntmachung zu erreichen sein. Die Fristsetzung darf zudem nur in Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde geschehen. Die Abstimmung von Ausschreibungsvorhaben mit den Genehmigungsbehörden wird zukünftig daher unerlässlich sein.

Dies ergibt sich auch aus der vom BVerwG festgestellten drohenden harten Sanktion:

  • Nur wenn der Aufgabenträger sich penibel an die prozessualen Vorgaben zum Vorrang kommerzieller Verkehre hält, sind kommerzielle Anträge ausgeschlossen und die Ausschreibung rechtmäßig;
  • Werden Vorgaben des BVerwG jedoch nicht eingehalten, ist das Verfahren insgesamt rechtswidrig und es darf dem Ausschreibungsgewinner keine Genehmigung erteilt werden. Zudem sind Verkehrsunternehmer nicht gehindert, auch späte kommerzielle Anträge (wie im vorliegenden Fall auch noch nach Ankündigung des Zuschlags und Abschluss eines Verkehrsvertrages) zu stellen, die dann den Vorrang genießen, selbst wenn sie sich zuvor an der (rechtswidrigen) Ausschreibung beteiligt haben. Das BVerwG sieht in einem solchen Verhalten ausdrücklich keinen Verstoß gegen Treu und Glauben.Der "Güttler III-Erlass" entspricht nach Auffassung des BVerwG "in seinen wesentlichen Zügen" diesen Anforderungen.

Beurteilung des Ausschreibungsverfahrens obliegt den Genehmigungsbehörden

Das BVerwG hat in seinem Urteil die Position der Genehmigungsbehörden gestärkt; diese haben auch im Fall einer ausgeschriebenen Verkehrsleistung nicht lediglich "notarielle Funktion", sondern besitzen Kompetenz und Pflicht, im Rahmen ihrer Genehmigungsentscheidung die Einhaltung des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit zu prüfen und bei Verstößen die Genehmigung zu versagen. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Einleitung des Ausschreibungsverfahrens obliegt damit den Genehmigungsbehörden.

Das Vergaberecht sieht das BVerwG als solange unerheblich an, wie nicht die Rechtmäßigkeit der Aufgabenträgerinitiative feststeht. Die Vergabebekanntmachung ist ausdrücklich ungeeignet, den Vorrang der Unternehmerinitiative zu wahren. In den Verdingungsunterlagen vorgegebene Qualitätsmerkmale sind für eigenwirtschaftliche/kommerzielle Anträge unerheblich. Über den Nahverkehrsplan hinausgehende Anforderungen aus den Verdingungsunterlagen zu folgern, kehre das Vorrangverhältnis unzulässigerweise um.

Eigenwirtschaftliche/kommerzielle Anträge sieht das BVerwG nicht dadurch gehindert, dass ein Unternehmen Ausgleichszahlungen gemäß § 45a PBefG oder §§ 145, 148 SGB IX erhält; auch die Erbringung von Leistungen außerhalb des ÖPNV (das BVerwG nennt hier ausdrücklich Gelegenheitsfahrten im Fernverkehr).

Darüber hinaus stellte das BVerwG unmissverständlich fest, dass die VO (EG) Nr. 1370/07 keinerlei Anwendung auf Genehmigungsentscheidungen findet, welche vor dem 03.12.2009 ergangen sind.

Das Urteil ist rechtskräftig und bisher nicht veröffentlicht; auf Wunsch versenden wir gerne eine geschwärzte Version auf elektronischem Wege.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an:

Dr. jur. Sebastian Roling, LL.M. (Public Law) 

  • Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht
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  • Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

und 

Till Martin 

  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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