Hunde an die Leine!

Anordnung eines Leinenzwangs für Hunde durch gefahrenabwehrrechtliche Verordnung

Entscheidung des OVG Lüneburg (OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Mai 2017 – 11 KN 105/16 –, juris)

Das OVG Lüneburg hat in einem Urteil vom 17. Mai 2017 einen Leinenzwang für Hunde für rechtmäßig erklärt. Konkret ging es um die Verordnung der Stadt Oldenburg über das Mitführen von Hunden in der Öffentlichkeit vom 28. September 2015 für das Gebiet des Eversten Holzes.

Anleinpflicht auch für ein Waldgebiet

In der Verordnung der Stadt Oldenburg über das Mitführen von Hunden in der Öffentlichkeit vom 6. Juni 1983 sowie der gleichnamigen Verordnung vom 5. Juli 2004 war unter anderem bestimmt, dass Hunde in der im Einzelnen näher bestimmten Innenstadt ganzjährig an der Leine zu führen sind. Von dieser Leinenpflicht war seit 2004 zudem der Schlossgarten, nicht aber das Eversten Holz betroffen. Aufgrund diverser Eingaben und Beschwerden von Bürgern, Anträgen von Fraktionen des Rates der Antragsgegnerin und des Vereins Freunde des Everstenholzes e.V. sowie auf Anregung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur als Vertreter des Landes Niedersachsen wurden seit 2008 Überlegungen angestellt, die ganzjährige Anleinpflicht für Hunde auch auf das Eversten Holz zu erstrecken. In seiner Sitzung vom 28. September 2015 beschloss der Rat der Stadt Oldenburg daraufhin die Verordnung „in der Fassung vom 29.06.2015“, mit der eine Anleinpflicht für Hunde im - näher umschriebenen - Eversten Holz eingeführt wurde.

Normenkontrollklage gegen Leinenzwang

Gegen die Verordnung legte ein Hundehalter, der seinem Vierbeiner in diesen Bereich häufig Auslauf gewährt hatte, Normenkontrollklage zum OVG Lüneburg ein.

Anleinpflicht ist formell und materiell rechtmäßig

Der auf Basis des § 55 SOG angeordnete Leinenzwang für Hunde ist nach Auffassung des OVG rechtmäßig, ein Verstoß gegen höherrangige Vorschriften ist weder in formeller noch in materieller Hinsicht gegeben.

Das OVG befand, dass Mängel im Rechtsetzungsverfahren vom Antragsteller weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Die Regelung findet ihre erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in § 55 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG. Hiernach werden die Gemeinden für ihren Bezirk oder für Teile ihres Bezirkes zum Erlass von Verordnungen zur Abwehr abstrakter Gefahren ermächtigt. Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG erlassen die Gemeinden die Verordnungen nach den für Satzungen geltenden Vorschriften. Hier hatte der Rat im Rahmen seiner Zuständigkeit alle formalen Voraussetzungen eingehalten.

Verordnung als richtiger Weg

Angesichts des räumlichen Umfangs der streitigen Regelung, ihres - wenn auch gesetzlich befristeten - zeitlichen Geltungsbereiches von bis zu 20 Jahren sowie der Vielzahl der Betroffenen ist es nach Auffassung des OVG nicht zu beanstanden, dass der Leinenzwang als Verordnung, d.h. als abstrakt-generelle Regelung, und nicht als Allgemeinverfügung im Sinne der §§ 35 Satz 2 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG erlassen worden ist. Ein spezieller Gesetzesvorbehalt besteht ebenfalls nicht.

Verordnung ist auch räumlich hinreichend bestimmt

Der Antragsteller hatte Zweifel an der inhaltlichen Bestimmtheit geäußert, insbesondere bezogen auf den räumlichen Geltungsbereich. Allerdings reicht es nach Auffassung des OVG aus, dass die Stadt Oldenburg in ihrer normativen Beschreibung nachvollziehbare Begrenzungsmerkmale erwähnt. Den Normadressaten wird dadurch auch an dieser Stelle die Ausdehnung des von der Verordnung betroffenen Gebietes in ausreichendem Maße verdeutlicht.

Freilauffläche ist eindeutig identifizierbar

Auch meinte der Antragsteller, dass die zum Auslauf vorgehaltene sog. „Freilauffläche“ nicht eindeutige abgegrenzt sei. Dem hielt das OVG jedoch entgegen, dass der diese konkretisierende Lageplan ausreicht. Das von der Freilauffläche umschlossene Areal im Unterholz und im Waldgebiet ist durch eine Linie in dem Lageplan für die Normadressaten hinreichend deutlich abgegrenzt. Sollte es im Einzelfall Zweifel über den genauen Grenzverlauf geben, kann einer solchen Unsicherheit angemessen dadurch Rechnung getragen werden, dass von der Verhängung eines Bußgeldes wegen einer Ordnungswidrigkeit bei Zuwiderhandlung gegen die Verordnung abgesehen wird.

Gefahr durch freilaufende Hunde wird bejaht

Unangeleint umherlaufende Hunde (und zwar ohne Differenzierung nach Hunderassen und nach Jahres- oder Tages/-Nachtzeiten) stellen nach Aussage des OVG auch eine abstrakte Gefahr dar. Dem Leinenzwang liegen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung ersichtlich Erwägungen zu Gefährdungen oder Belästigungen von Menschen, anderen Hunden oder Tieren durch das unberechenbare Verhalten frei umherlaufender Hunde zugrunde. Zum natürlichen Verhaltensrepertoire von Hunden gehören das Beißen, Hetzen, Reißen, Anspringen, Schnappen, Nachrennen und Beschnüffeln, das sich bei freilaufenden Hunden spontan und unberechenbar äußert und zu einer Gefährdung unbeteiligter Dritter führen kann, welche die Schwelle der bloßen Belästigung überschreitet. Daraus ergibt sich eine abstrakte Gefahrenlage unter dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung unterschiedlicher Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit. Das gilt vornehmlich für die Individualrechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum (insbesondere an anderen Tieren), soweit diese durch das genannte unberechenbare tierische Verhalten von Hunden beeinträchtigt werden können.

Statistische Erhebungen zu Beißvorfällen nicht erforderlich

Nach Auffassung des OVG kommt es angesichts der abstrakten Gefährlichkeit auch nicht auf statische Auswertungen oder die Frage der Häufigkeit von Vorfällen mit freilaufenden Hunden an.

Leinenzwang auch nicht unverhältnismäßig

Letztlich sieht das OVG den Leinezwang auch als verhältnismäßig an. Er ist zunächst geeignet, die oben beschriebene abstrakte Gefährlichkeit unangeleinter Hunde zu unterbinden. Auch steht ein milderes Mittel nicht zu Verfügung, wobei die Stadt Oldenburg auch keine Unterscheidung zwischen den Hunderassen oder nach anderen Kriterien vorzunehmen habe. Hundehaltung ist als Massenerscheinung einer typisierenden Regelung zugänglich. Angesichts des hohen Ranges der betroffenen Rechtsgüter ist der Leinenzwang auch angemessen. Trägt der Leinenzwang der Konfliktträchtigkeit bestimmter Situationen, in denen sich Hunde, andere Tiere und Menschen begegnen, Rechnung, ist er rechtlich nicht zu beanstanden, weil damit nur relativ geringfügige, jedenfalls aber im überwiegenden Allgemeininteresse hinzunehmende Einschränkungen für den Tierhalter verbunden sind. Andere Rechtsgüter müssen dahinter zurücktreten. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da es eine Freilaufzone gibt, in der die Interessen der Hundehalter und ihrer Vierbeiner gewahrt sind.

Kommentar zur Entscheidung:

Die Entscheidung des OVG Lüneburg setzt die bisherige Senatsrechtsprechung fort. Das OVG betont die Rechte abstrakt gefährdeter Personen und geht dabei auch darauf ein, dass gerade das ängstliche Verhalten von Menschen bei ansonsten unauffälligen Hunden wegen der Unberechenbarkeit des tierischen Verhaltens weitere Reaktionen und auf diese Weise einen gefahrerhöhenden Kreislauf in Gang setzen kann. Dieser Aspekt wird gerade von Hundehaltern oftmals unterschätzt.

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Jan Kuhlmann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Erster Beigeordneter a.D.

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