OVG Nordrhein-Westfalen stoppt finanzielle Diskriminierung eigenwirtschaftlicher Verkehrsunternehmen im ÖPNV

Das OVG Nordrhein-Westfalen hat sechs Satzungsänderungen der Münsterlandkreise Coesfeld, Steinfurt und Warendorf zur beabsichtigten Abschaffung des Ausgleichsanspruchs für die rabattierte Beförderung im Ausbildungsverkehr (§ 45a PBefG, § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW) für eigenwirtschaftliche Verkehre mit drei Urteilen vom 4.11.2022 für unwirksam erklärt.

Wie mit Pressemitteilung vom 2.7.2019 berichtet, hat ein von uns vertretenes Verkehrsunternehmern gegen die Satzungsänderungen der Kreise Coesfeld, Steinfurt und Warendorf drei Normenkontrollanträge beim OVG NRW gestellt. Dies, mit dem Ziel, die Satzungsänderungen für unwirksam zu erklären. Diesen Normenkontrollanträgen gegen den erneuten versuchten Angriff auf die Eigenwirtschaftlichkeit hat das OVG NRW jetzt vollumfänglich stattgegeben und antragsgemäß die beabsichtigten Satzungsänderungen für unwirksam erklärt.

Ausgleichsanspruch bei rabattierter Beförderung im Ausbildungsverkehr

Schüler, Auszubildende und Studenten können den ÖPNV zu rabattierten Beförderungsentgelten nutzen. Private Verkehrsunternehmen müssen nach dem anzuwendenden Westfalentarif auf die Jedermann-Fahrkarte einen Rabatt von 27,97% gewähren. Hierdurch entstehen den privaten Verkehrsunternehmen erhebliche Einnahmeeinbußen.

Nach der bundesrechtlichen Regelung des § 45a PBefG haben Verkehrsunternehmen einen direkten Ausgleichsanspruch hinsichtlich der Hälfte dieser Mindereinnahmen.

Dieser bundesrechtliche Ausgleichsanspruch wurde zum 1.1.2011 durch die landesrechtliche Regelung des § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW ersetzt. Danach wird den Aufgabenträgern eine sogenannte Ausbildungsverkehrspauschale vom Land NRW zugewiesen. Diese ist nach § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW an alle Verkehrsunternehmen, die im Zuständigkeitsgebiet des Aufgabenträgers Linienverkehre betreiben und die Rabattierung gewähren, weiterzuleiten. Diese Weiterleitung sollte nach § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW a.F. über eine allgemeine Vorschrift nach Art. 3 Abs. 2 VO 1370 erfolgen (Soll-Vorschrift).

Deshalb hatten auch die Kreise Coesfeld, Steinfurt und Warendorf eine entsprechende allgemeine Vorschrift in Form einer Satzung zur Weiterleitung der Ausbildungsverkehrspauschale an die tätigen Verkehrsunternehmen erlassen. Alle Verkehrsunternehmen, die im Linienverkehr rabattierte Fahrkarten für die Beförderung im Ausbildungsverkehr anboten, hatten Anspruch auf eine Ausgleichszahlung über diese allgemeine Vorschrift.

Versuchte Abschaffung des Anspruchs nach § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW für eigenwirtschaftliche Verkehre

Im Rahmen der Gesetzesnovelle des ÖPNVG NRW zum 1.1.2017 wurde die Vorschrift des § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW dahingehend abgeändert, dass die Soll-Vorschrift zur Weiterleitung über eine allgemeine Vorschrift gestrichen wurde.

Daraufhin beschlossen die Kreise Coesfeld, Steinfurt und Warendorf Satzungsänderungen, mit denen sie die allgemeine Vorschrift zur Weiterleitung der Ausbildungsverkehrspauschale an die Verkehrsunternehmen abschaffen wollten. Erklärtes Ziel der Kreise war es, die Ausgleichsleistung für die rabattierte Beförderung im Ausbildungsverkehr nur noch an Verkehrsunternehmen zu leisten, die von ihnen per öffentlichen Dienstleistungsauftrag beauftragt wurden. Für eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen sollte der Ausgleichsanspruch abgeschafft werden, obwohl auch diese über die Vorabbekanntmachungen der Kreise flächendeckend weiterhin zur Anwendung der Rabattierung verpflichtet werden.

OVG NRW erklärt Abschaffung des Ausgleichsanspruchs für eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen für unwirksam

Den drei Normenkontrollklagen des von uns vertretenden Verkehrsunternehmens gab das OVG NRW nach mündlicher Verhandlung am 4.11.2022 nunmehr vollumfänglich statt und erklärte alle sechs Änderungssatzungen der drei Münsterlandkreise zur Abschaffung der allgemeinen Vorschriften für unwirksam.

Das OVG NRW begründete seine Entscheidungen damit, dass bereits das ÖPNV-Landesgesetz NRW keine Abschaffung der allgemeinen Vorschrift erlaube. Der Wortlaut des § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW verbiete es den Kreisen, die Ausgleichsleistungen nur an Verkehrsunternehmen weiterzuleiten, die im Besitz eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags der Münsterlandkreise seien.

OVG sieht landesgesetzlichen Anspruch auf allgemeine Vorschrift

Denn § 11a Abs. 2 ÖPNVG NRW verpflichte die Aufgabenträger, die Ausgleichsleistung allen Verkehrsunternehmen zu gewähren, welche die Rabattierungspflicht im Ausbildungsverkehr erfüllen. Da eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen dies Ausgleichsleistung beihilferechtskonform nur über eine allgemeine Vorschrift gewährt werden könne, müsse der Aufgabenträger weiterhin eine allgemeine Vorschrift vorhalten und darf diese nicht diskriminierend zulasten der eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen abschaffen.

Zwei der Münsterlandkreise, der Kreis Coesfeld und der Kreis Warendorf wollten die allgemeine Vorschrift im Jahr 2019 sogar rückwirkend zum 31.12.2016 (Kreis Coesfeld) bzw. zum 31.12.2018 (Kreis Warendorf) abschaffen. Auch diesem Vorhaben erteilte das OVG NRW eine klare Absage. Denn hierdurch werde eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen, die vor der Bekanntmachung der beabsichtigten Abschaffung des Ausgleichsanspruchs, einen eigenwirtschaftlichen Genehmigungsantrag gestellt hatten, ein zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht kalkulierbarer Nachteil aufgebürdet. Es liege eine unzulässige Rückwirkung vor.

Das OVG Nordrhein-Westfalen im Windschatten des EuGH –"Lux Express"; die allgemeine Vorschrift auf dem Vormarsch

Mit der von uns in die Verfahren eingeführten Rechtsauffassung, dass in Anbetracht des aktuellen EuGH-Urteils in Sachen Lux Express Estonia AS (EuGH, Urt. v. 8.9.2022 – Rs C-614/20) eine Abschaffung des Ausgleichsanspruchs für die rabattierte Beförderung generell unzulässig sei, solange die Aufgabenträger über Vorabbekanntmachungen die Rabattierung verpflichtend vorschreiben, musste sich das OVG NRW letztendlich nicht maßgeblich auseinandersetzen. Denn die Abschaffung verstoße bereits gegen das nordrhein-westfälische Landesrecht, so dass es auf einen weiteren Verstoß gegen das EU-Recht nicht mehr entscheidend ankam; der Vorsitzende erwog allerdings eine Vorlage zum EuGH.

Nach hiesiger Auffassung hat der EuGH mit seiner aktuellen Entscheidung die Rechte der eigenwirtschaftlichen Verkehre deutlich gestärkt, indem er erstmals feststellte, dass aus Art. 3 Abs. 2 VO 1370 ein Rechtsanspruch auf Ausgleichsleistung für die Erfüllung auferlegter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen für eigenwirtschaftliche Verkehre folge. Diese Rechtsauffassung hatten wir bereits in dem Musterverfahren zum Anspruch auf Erlass einer allgemeinen Vorschrift vor dem BVerwG vertreten, welches sich bislang nicht anschloss (vgl. BVerwG 10 C 3.19 - Urteil vom 10. Oktober 2019). Ob die Entscheidung des BVerwG aufgrund der aktuelleren und höherrangigen Entscheidung des EuGH für die Zukunft weiterhin Bestand haben kann, wird die Zukunft zeigen.

Die Entscheidungen des OVG NRW sind nicht rechtskräftig. Das Gericht hat die Revision gegen die Urteile jedoch nicht zugelassen, so dass abzuwarten bleibt, ob die Kreise Coesfeld, Steinfurt oder Warendorf Beschwerde beim BVerwG einlegen werden.

Die Verfahren zeigen, dass eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmer einer Abschaffung des § 45a PBefG und dem damit verbundenen Verlust von Ausgleichszahlungen für auferlegte Tariferschwernisse nicht wehrlos gegenüber stehen. Im Gegenteil lässt sich in vergleichbaren Fällen unmittelbar das Oberverwaltungsgericht anrufen, um eine Satzung des Aufgabenträgers einer Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterziehen.

Bei Fragen zu diesem Artikel wenden Sie sich gerne an:

Till Martin

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Fachanwalt für Vergaberecht

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